Machthumor

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…für das lachende Auge

Sprayer, Bahnhöfe und Terroristen

De Maizière will Street Art bekämpfen, Grundlage: cc (by-sa) Personeelsnet, cc (by) bixentro

„Wir sind zu lasch gegenüber Infrastruktur-Terroristen, die es übrigens bereits zur genüge in unserem Land gibt.“ Diese so beiläufige Bemerkung ist nur eine der vielen feinen Spitzen, die Thomas de Maizière in den letzten Tagen in der Öffentlichkeit platziert. Nachdem er vergeblich vor einer Bedrohung im Inland gewarnt hatte, sie herbeireden wollte, rückt das friedliche Weihnachtsfest näher und macht „den Minister der eloquenten Angst“ in der öffentlichen Wahrnehmung lächerlicher, überflüssiger. Die inneren Gefahren der deutschen Gesellschaft selbst scheinen eine letzte Hoffnung: Sein neuestes Steckenpferd ist eine Bekämpfung verschmierter Eisenbahnbrücken und Züge als Terrorgefahr.

De Maizière ist in seiner Situation nicht zu beneiden, denn sein Spielraum, sich als zukünftiger Kanzlerkandidat ins Spiel zu bringen, ist gering: Mit dem Bundesgrenzschutz bleibt ihm nur die Kontrolle von Bahn- und Flughäfen, und der Einsatz der Bundeswehr im Innern zur brauchbaren Terrorisierung des Landes scheint durch die FDP in weiter Ferne. Der vielversprechende Bereich „Cyberkriminalität“ wurde bereits von seiner Kollegin Von der Leyen vor die Wand gefahren. Hacker, die man früher noch abstrakt kriminalisieren konnte, sitzen in den Gremien, sind akzeptierter Teil der Bekämpfung von Sicherheitslücken in vielen wichtigen technologischen Bereichen. Selbst Fremdenfeindlichkeit und Leitkultur wurden vorübergehend als brauchbare Themen von der SPD und Sarrazin verpestet. Wo kann man in diesem Land als Innenminister noch effektiv polemisieren, die konservative Seele streicheln?

„Urban Hacking darf nicht weiter als Kunst toleriert werden.“ spricht der immer besonnen wirkende Minister auf einer Sicherheitskonferenz in die Mikrophone. „Unsere staatlichen Mittel sind begrenzt, und wir können es uns nicht leisten, bei jeder Provokation von Künstlern, die vielleicht einen Koffer auf einem Gepäckband platzieren oder für Sprayer, die in Bahndepots Züge besprühen und Alarm auslösen, immer gleich ein Großaufgebot der Polizei zu mobilisieren. Hier ist die Gesellschaft gefragt.“

Und an anderer Stelle lässt er verlautbaren: „Diese sogenannten „Künstler“ sind nun mal effektiv Nestbeschmutzer. Und zwar der gefährlichsten Art, weil sie aller Welt offen vorführen, wo wir und unsere urbane Infrastruktur verletzlich sind. Wenn in Zukunft dann einmal ein Anschlag in Deutschland passiert, dann doch nur, weil sich die Terroristen informieren können, wie man ungestört an unsere U-Bahn-Gleise kommt. Sie müssen nur den Schmierereien am Wegesrand oder den Videos im Internet folgen. Das ist keine Straßenkunst, sondern der Terror der Zukunft und auch jetzt schon hässlich.“ Einer solchen neuen Bedrohungslage war sich in Deutschland bisher keiner bewusst und so leiht man dem erfolglosen Minister einmal mehr bereitwillig sein Ohr, wenn es um die nationale Sicherheit und bedrohte Städte geht.

Lukas Tietz vom Verband deutscher Sprayer sieht die Sachlage naturgemäß anders: „Streetart ist ein Phänomen, das in seinem Kern auf die Rückeroberung der Stadt und ihrer Räume ausgerichtet ist. Besonders wir Sprayer gehen jedoch darüber hinaus und verstehen uns hier auch als Gradmesser für die Sicherheitslage an z.B: Bahnhöfen. Wer hier Zeit für ein Bombing an einer Brücke hatte, hätte in selbiger Zeit auch eine Bombe anbringen können, wer es sogar schafft einen ganzen Zug zu malen: dies ist natürlich ein Schlag ins Gesicht der Beamten des Bundesgrenzschutzes – den sie unserer Meinung nach jedoch auch verdient haben.“

Seien die Hacker des Chaos Computer Clubs inzwischen eine anerkannte Institution, berichtet Tietz weiter, so sei sein Verband immer wieder unangemessenen Anfeindungen von Politik aber auch von Privatpersonen ausgesetzt. „Jeder mag Kunstbanause sein wie er möchte, aber eine Brücke mit einem Bombing ist kein Scherz.“

Der Sozialwissenschaftler Gerhart Otten erklärt sich die Härte der Union gegen neue Formen städtischer Zivilgesellschaft ganz allgemein: „Gefühlte Sicherheit hat auf entscheidende Weise etwas mit dem Sehsinn zu tun – da kommen die vielen Graffitis ganz recht. Die Union hat mit den Grünen zudem eine Konkurrenz bekommen, die besonders in Städten bei ehemaligen Unionswählern punkten kann.“

Diese Polemik gegenüber angeblich „unloyalen Schmierfinken“ in diesem Land komme nicht ohne Grund kurz vor Weihnachten: Das Familienfest führe bürgerliche Eltern und grüne Studenten zusammen und festige so wohlmöglich die Rolle der Grünen als bürgerliche Volkspartei. „Die Formulierung eines ‚unbürgerlichen Urbanen‘ hilft dort sicher dem ein oder anderen Vater, seine Position für Law and Order unterm Weihnachtsbaum  zu vertreten – wenn schon kein Anschlag stattfindet.“ Hier wird von der Union anscheinend im großen Stil von dem enttäuschenden Al-Kaida-Terror zum Terror der Straße gewechselt, um Wähler zurückzugewinnen und auch zukünftige grüne Protestbewegungen diskursiv einordnen zu können.

Tietz vom Verband deutscher Sprayer wird am Ende unseres Gesprächs trotz des harschen Tons der allgemeinen Diskussion und vielleicht in einem Anflug vorweihnachtlicher Milde noch einmal versöhnlich: „Wir sind als Urban Hacker und Leak Scouts eigentlich nicht verantwortlich für die Lücken im Sicherheitsapparat, sondern für die gesellschaftliche Aufmerksamkeit für diese eklatanten Lücken, die hunderte Menschenleben kosten können. Wir können den Minister aber durchaus verstehen: Niemand mag den Überbringer schlechter Botschaften, jeder Mitarbeiter hasst den Whistleblower im eigenen Unternehmen, doch wir machen weiter und würden uns in Zukunft auch über eine engere Zusammenarbeit und Kooperation mit dem zuständigen Minister de Maizière freuen.“

Als versöhnliche Geste hätten sich bereits einige Mitglieder seines Verbandes vorgenommen, De Maizière unentgeldlich zu zeigen, wie es tatsächlich um die Sicherheit seines eigenen Hauses bestellt sei. Weihnachtsmärkte wolle man jedoch verschonen, versichert mir Tietz noch mit einem Augenzwinkern: Dort sei eine Steigerung der Terrorisierung unschuldiger Passanten nicht vorstellbar.


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