Machthumor

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…für das lachende Auge

Atommüll-Endlager bald auch „Industriekultur“?

Neue Postkarte der Bundesregierung

Es ist ein schöner Tag für einen Phototermin, und Rainer Brüderle macht ausgiebig Gebrauch von der Aufmerksamkeit, die ihm die Reporter mitgebracht haben. „So meine Herren Photographen: Lassen sie uns zu den Kindern gehen“ dirigiert ein sichtlich gelöster Wirtschaftminister die Journalisten in Richtung einer Hüpfburg und einiger Bierbänke vor der Kulisse mächtiger Kühltürme. „Was sie hier sehen, das ist deutsche Industriekultur!“

„Wir brauchen mehr Akzeptanz für die stolze Technologie der Atomkraft“ gibt Brüderle offen zu. „Wer hätte in den 70er Jahren geglaubt, dass alte Industrieanlagen – wie in Essen mit der Zeche Zollverein oder Duisburg mit seinem Landschaftspark – einen modernen Wert haben und wichtige Orte des gesellschaftlichen Lebens in einer fortschrittlichen Welt sein können? Das können diese Monumente deutscher Hochtechnologie hinter mir schon lange. Wir wollen Konzerte, Kultur und Kinder in unseren deutschen Kraftwerken. Dort hinten entsteht z.B. gerade ein Kletterpark! Hier findet die Zukunft einen Ort.“

Ein Atommeiler als Kulturgut? Die deutsche Industrie als Ort der Identifikation? Antonio Gramsci hätte den Minister wohl einen „organischen Intellektuellen“ genannt, eine Person, die es schafft die Interessen der Mächtigen in die Worte und Gedanken des Proletariats zu übersetzen und sich dabei auch noch revolutionär zu geben. Brüderle beweist einmal mehr, dass der beiläufige Lobbyismus der FDP seine kreative Kraft nicht verloren hat. ‚Industriekultur‘ ist der neue rethorische Kampfbegriff der Liberalen.

Jemand will von dem Minister wissen, ob dieses bedeute, dass – analog zu den Zechen im Ruhrgebiet – die Atomkraft am Ende sei, dass man alle Subventionen z.B. bei der Atommüllentsorgung auslaufen lassen wolle. Der Instinkt des Intellektuellen in Brüderle leuchtet kurz kampflustig in seinen Augen, bevor er sich an die FDP-Wähler erinnert und sie bedient: Atomkraftwerke seien rentabel und besäßen damit qua Definition ein Lebensrecht. Sie würden den deutschen Ingeniueren und Arbeitern Sinn und Arbeit geben, andere unterentwickelte Länder inspirieren und wären von der Weltbühne nicht mehr wegzudenken. Wer Atomkraftwerke abschalten wolle, „verstrahlt die deutschen Haushalte mit teurem Strom“. Nur ein schlechter Wein kann wohl Brüderles gute Laune an diesem Tage noch trüben.

„Wir diskutieren doch meist viel zu verkrampft über diese Krönungen deutscher Ingenieurskunst auf die wir mit Recht stolz sein können“ kommt Brüderle weiter in Fahrt. „Ich lade jeden ein, sich ein eigenes Bild zu machen und erst zu den Kühltürmen aufzuschauen, bevor er sich eine Meinung über die Atomkraft macht! Alles andere wären Vorurteile.“ Dass es bei der Problematik ‚Atommüll‘ jedoch häufig gerade um das Herabschauen in die unterirdischen Endlager geht, will diese Regierungskampagnie wohl bewusst vertuschen. „Das Atomkraftwerk als Museum der Zukunft“ heißt denn auch der Titel der Initiative, die in den nächsten 2 Jahren insgesamt 50 Mio Euro aus dem Bundeswirtschafts- und Bundesbildungsministeriums erhalten soll.

Die Initiative des Wirtschaftsministers kann ohne weiteres als Revolution bezeichnet werden: Wer hätte sich vor Jahren noch getraut, aus einem Atomkraftwerk trotz der Strahlung ein Besucherparadies und Museum zu machen? Auf die Frage, ob er seine eigenen Kinder hier spielen lassen würde, weicht Brüderle aus und zeigt auf das große Wandbild auf einem der Türme: „Der Kleine hier war meine Idee, aber ich persönlich habe keine Kinder.“ Das erklärt vieles. Bleibt nur noch, dass es bald Führungen in Gorleben und der Asse gibt. Glück auf!


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Filed under: Satire deutsch

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